Murder-Set-Pieces: Review von hudeley (Schnittberichte.com) (2024)

Murder Set Pieces

Mit Murder Set Pieces liegt hier ein Filmchen auf dem Seziertisch,welches eine Blaupause dafür ist, wie man als Regisseur gefühlt den Großteil der Horrorfans gegen sich aufbringen kann. Nach dem Debütfilm Nutbag aus dem Jahre 2000 und dem Kurzfilm Sinister, war es mit Murder Set Pieces, nur 4 Jahre nach Nick Palumbos erstem Film, Schluss mit seiner Regiekarriere. Sein streitbarer Charakter und die Guerilla Marketing Kampagne sämtliche Messageboards vollzuspammen, waren dabei nur Beiwerk, denn sein über Gut und Böse hinaus provozierender Gewaltfilm war selbst einigen Eingefleischten zu hart - oder schlicht zu hölzern.

Die Entstehungsgeschichte ist alleine schon eine ganze Abhandlung wert. Angelehnt an Maniac und Henry - Portrait Of A Serial Killer, sowie in meinen Augen gewürzt mit einer Prise Nightmare In A Damaged Brain und Pieces, sollte Nick Palumbos Film der große Wurf werden. Die Story um einen Aktfotografen mit deutschen Wurzeln und Drittem Reich im Blut, ist im schlechtesten Fall deutbar als billigster Aufhänger.Im besten Fall kann man sie als eine ausgeschmückte, variierte Version von Palumbos erstem Film Nutbag auslegen. Mit 2 Millionen US Dollar von Privatinvestoren, kam eine mehr als beeindruckende Produktionssumme zusammen und selbst lange Zeit über seinen Entstehungszeitraum hinaus, war Murder Set Pieces der teuerste US amerikanische Independent Film bis dato. Nick Palumbo konnte nicht nur die damals massiv angesagten Special Effects Künstleraus der Tom Savini Schule Fred Vogel und Jerami Cruise von Toetag Pictures, neben den Effekten zum damaligen Zeitpunktauch für die Regie von August Underground und einigen Videos für die Deathmetal Combo Necrophagia verantwortlich, für sich gewinnen, sondern fuhr auf Seiten der Darsteller auch einige gern gesehene Namen auf: das originale Leatherface Gunnar Hansen sowie den Hitchhiker Edwin Neal aus Texas Chainsaw Massacre, Tony Todd, der Candyman, und Cerina Williams aus Cabin Feverwaren dabei die vier Bekanntesten und zumindest Letztere, die 24 Stunden vor Drehbeginn gecastet wurde und das Script vorher nicht laß, hat nach dem zur Veröffentlichung des Filmes aufkommenden Gegenwind von allen Seiten versucht, sich deutlich von Murder Set Pieces zu distanzieren. Selbst schriftliche Anfragen, ihre kurze Szene aus dem Film herauszuschneiden nahm sie in Kauf, um ihren Namen damit nicht in Verbindung zu bringen.

Während des Drehs wurde das Set mehrfach von der Polizei gestürmt. Der bewaffnete Überfall auf die Videothek, sowie die Schreie der Darsteller in den Foltersequenzen erweckten für Anliegende schnell den Eindruck eines Raubüberfalls bzw. Snufffilmdrehs. Selbst in der Postproduction stand Palumbo schnell vor dem Problem, dass die Entwicklungsfirmen sich weigerten, das Material aus den Negativen herauszukopieren. Abgelehnt von Technicolor und vier anderen, brauchte es sechs Anläufe, bis sich endlich ein Studio dafür hergab. Eine Androhung einer Anzeige wegen Kindesmissbrauch gab es kostenlos noch obendrauf. Auch beim Schnitt wurde Murder Set Pieces von einigen Cuttern abgelehnt. Erst Todd C. Ramsay, John Carpenters Stammcutter, legte Hand an den Film. Und dann begann der Spießrutenlauf der Veröffentlichung...

Abgelehnt auf einigen Filmfestivals, lief der Film trotzdem in einer Workprint Fassung auf der Leinwand. Schnell wurden Stimmen über dessen Inhalt laut und Nick Palumbo bekam nach einer Vorführung die Fresse von einem aufgebrachten Zuschauer poliert. Ein Schicksal, welches er sich mit Mariano Peralta, dem Regisseur von Snuff 102, teilt. Auch Maniac Regisseur William Lustig, angewidert durch eine Szene, die wir später etwas genauer besprechen müssen, äußerte sich deutlich und denunzierte Palumbo öffentlich. Als kleine Anekdote sei erwähnt, dass sich einige Quellen finden ließen, die besagen, dass Quentin Tarantino sich für ein Screening des Streifens in Kalifornien stark machte.

So wurde es nach dem kontroversen Kino-Run Zeit für ein physisches Release. Lionsgate krallte sich den Streifen, nachdem ein Vertreter vorzeitig die Vorstellung verließ und einfach den Vertrag unterzeichnete, mit der Bemerkung, dass es neu auf denMarkt gebrachte Schnittsoftware vergleichsweise einfach mache, den Film in einen zeigbaren (blutleereren) Zustand zu bringen. Dies wurde auch getan, denn der R-Rated Version fehlen knapp 28 Minuten im Vergleich zum Unrated Directors Cut. Fairerweise sei erwähnt, dass der noch längere Festival Cut lediglich in Handlungsszenen erweitert war und die R-Rated auf dieser Workprint Fassung basiert. Daher finden sich in der gekürzten Fassung einige Szenen, welche im Unrated Directors Cut gar nicht vorkommen. Letzterer ist hierbei natürlich die einzig wahre Fassung sich den Film anzuschauenund sorgte erwartungsgemäß für eine Freigabeverweigerung in UK (sexualisierte Gewalt ist hier wie immer der Hauptgrund) und war der ersteFilm, der in Polen ab 21 Jahren freigegeben wurde. Bevor wir uns endlich inhaltlich dem Ganzen nähern sei gesagt, dass die Gerüchte, dass Murder Set Pieces ein NC-17 Film ist, nicht stimmen. Dieser Film bekam eine solche Freigabe nie (obgleich er, bei Vorlage des Directors Cut, sicherlich NC-17 und ein Fleiß-Bienchen für besondere Bemühungen dahingehend erhalten hätte).

Um seine Inhaltslosigkeit macht Murder Set Pieces keinen Hehl, lässt sich sein Titel nämlich in "Mord Versatzstücke" übersetzen. Dies ist durchaus selbstreferenziell, denn der Film folgt - von einer reinen Anhäufung der wirklich harten Szenen gegen Ende - keinem Filmaufbau in dem Sinne. Er bleibt auch über seine Laufzeit hinweg durchaus langweilig, da Bindung zu den Charakteren nicht möglich ist. Sven Garrett, als namenloser Fotograf, ist nicht nur Klischee-Deutscher im negativsten Sinn, sondern auch ein unsagbarer Großkotz. Durch selbstverliebte Schwachsinnsdialoge über den Vorteil des Verzehrs von rohen Steaks oder seinem Großvater als Kriegsheld sowie dem durch ständig wiederkehrende Szenen auf Trainingsgeräten implizierten Körperkult, ist er nahe am Fremdscham dran. Sein Charakter ist viel zu over the top,um ihn wirklich ernst zunehmen, doch Palumbos hau-drauf-Regie sorgt letztendlich dafür, dass anfängliche, peinliche Berührtheitsich schnell durch uferlose Niedertracht ersetzen lässt.

Der Film ist über weite Strecken clever genug, dem Zuschauer nicht alles im Gewaltbereich zu zeigen und ihm trotzdem weh zu tun. Doch nehmt es bitte nicht als Relativierung auf, denn nurweil der Streifen nicht jeden Messerstich in Olaf Ittenbach'schen Ausmaßen zeigt, heißt das noch lange nicht, dass Murder Set Pieces nennenswert wegblendet. Palumbo ist kein unfähiger Regisseur, denn man merkt, dass er ein Auge für ein klassisches Abfilmen von Gelwattaten hat. Es gibt Überblendungen, eingeschnittene Aufnahmen oder durchdachte Kamerapositionen während derEskapaden, die keine Sekunde das Gefühl erwecken, man wollte nicht geglückte Effekte kaschieren oder sich selbst zensieren. Murder Set Pieces ist so hart wie nur irgend möglich und der ständig präsentefrauenfeindliche und sexistische, wie gleichermaßen sexualisierte Unterton in allen Morden, trägt seinen Teil dazu bei. Für Viele trauriger Höhepunkt ist der deutlich zu sehende Kindsmord mit einem Fleischermesser, bei welchem ein kleines Mädchen regelrecht abgeschlachtet wird, während sein unwissender Vater nur wenige Meter entfernt ist.

Und unter all der schmierigen, sleazigen Frauengewalt gegen die in den meisten Fällen zum Unterhaltungszweck entkleideten Darstellerinnen, der monotonen Monologen eines alle Klischees erfüllenden Neo-Nazi-Deutschen, hat der Film am Ende dann sein ... nunja ... wahres Glanzstück parat: nachdem der Killer die Mutter erstochen hat, drangsaliert er das panisch kreischendeKleinkind im Laufstall nebenan. So nimmt der blutverschmierte Fotograf das Kind heraus, legt bedeutungsschwanger das Rasiermesser an das Holzgitter und man fühlt sich für kurze Zeit an den von österreichischen Behörden beschlagnahmtenThe Baby Butcher erinnert (jap, auchin Österreich, dem Pradies ungeschnittener Filme, gibt es Dinge, die zuviel sind!). Im Gegensatz zu diesem Tabubrecher aus der deutschen Nachbarschaft,lässt der Killer in Murder Set Pieces zwar das Kind am Leben, doch lässt es stattdessen schreiend auf die tote Mutter zuwanken, an welche sich das Kleinkind schließlich legt und die Situation - natürlich - überhaupt nicht greifen kann. Ich habe an der Stelle, neben einem mehr als flauen Gefühl, nur eine Frage: welche Eltern geben ihr Kind für so einen Dreh her? Besagte Szene brachte William Lustig auch zu seiner überdeutlich artikulierten Haltung gegenüber Murder Set Pieces.

So viel die deutsche, unfassbar miese Synchro auch zum hölzernen Filmgeschehen beiträgt, ist der Streifen selbst im O-Ton schauspielerisch nicht sonderlich gut. Overacting seitens des Hauptdarstellers sowie die, besonders durch die gewollt edgyklingenden, unfassbar forciert auf Provokation getrimmten Dialoge, tragen die Hauptschuld an der negativen Rezeption dieses Filmes. Hinzu kommen hineingeschnittene Aufnahmen des elften Septembers, der nicht zum Filmverlauf passende, erzwungene Nazibezug des Hauptdarstellers und die latente Frauenfeindlichkeit. Die stetig sich wiederholenden Abläufe aus nackten Frauen im Stripclub, nackten Frauen im Folterverließ, Rückblenden, Monologen und Mordsequenzen sind in ihrer Repetetivität ebenfalls auffallend, doch jetzt kommt das übergroße Aber. Ich habe mich nämlich bei der Gesamtwertung von 8 Punkten nicht verklickt:

Stupide Handlungen, grobkeilige Provokation, Overacting und nackte Frauen sind bekannte Muster 80er Jahre Slasher. Mit Sicherheit waren viele der Klassiker nicht so bodenlos nihilistisch, aber viele davon wären es gerne gewesen. Gerade deshalb ziehe ich Nightmare In A Damaged Brain oder Pieces gerne als Vergleichswerke heran, da diese Art der von Grund auf bösen Slasher exakt das ist, was Murder Set Pieces ist. Letzterer ging ein paar Schritte weiter, aber er entstammt auch einer völlig anderen Zeit. Selbst Maniac, so über jeden Zweifel erhabenich diesen Film auch finde, ist in meinen Augen auch kein Unschuldslamm von Film. Dieser hatte zwar durch sein Ende eine Art inhaltlicher Zäsur, beziehungsweise eine Pointe auf die er hinarbeitete, aber ob dieser Film unbedenklicher und moralisch vertretbarer ist, zweifle ich stark an.So kann über die Qualität von Nick Palumbos Murder Set Pieces gestritten werden, Gründe dafür bekommt man genug geliefert, doch man kann nicht Maniac restlos in Ordnung finden und Murder Set Pieces verdammen.

Das Budget von 2 Millionen Dollar ging ebenfalls nicht spurlos an diesem Film vorbei. Abgesehen von teilweise stark kontrastierten und dadurch heftig abgedunkelten Szenen, ist Palumbos Streifen von der Kameraarbeit und auf Seiten der Optik mehr als herausragend. Es gibt wenige Filme aus dem Indie-Sektor, die auf technischer Seite derart gut aussehen. Wie gesagt ist auch der Regisseur nicht talentbefreit, denn der hat seine Hausaufgaben gemacht. Wer, neben kulturellen Referenzen und den oben genannten Filmen, Anspielungen auf Texas Chainsaw Massacre, Halloween oder sogar Metropolis (!) entdeckt, liegt nicht falsch. Auch Gialli, allen voran Suspiria und Tenebrae, haben ihre Spuren hier hinterlassen. Besonders die Aufnahmen in den Häusern, meist in blau/ grün Tönen ausgeleuchtet, schreien nacht Altmeister Argento. Der von Zombi geschriebene Soundtrack ist ebenfalls eine einzige Huldigung vor Goblin.

So darf man sich keineswegs auf eine klassische Story einstellen, sondern vielmehr ein Tagesgeschehen eines Killers erwarten. Dann, aber wirklich auch nur dann, kann Murder Set Pieces eine wahnsinnig dichte, dreckige, menschenverachtende und vereinnahmende Stimmung aufbauen. Es ist auch keine Schande einzugestehen, von dem Film provoziert worden zu sein - man darf nur den Sinn nicht hinterfragen. Wer damit klar kommt, dass nicht alles eine Aussage haben muss, dass es reine Unterhaltungsfilme auch im Bereich des absolut filmischen Bösen gibt, sollte einen Blick riskieren. Denn besonders stark ist der Film nämlich dann, wenn er aufdreht. Wenn er sich im Nachtleben, den Stripclubs und in niederträchtigsten Killszenen suhlt und mich in eine Stimmung reißt, als hätte man Maniac, 8mm und das Game Manhunt 2 in einen Topf geworfen und umgerührt. Murder Set Pieces ist ein hölzerner, im Ablauf nicht ausgereifter, triefender Teer-Klumpen von Film, dessen Tabubrüche eine dermaßen starke Eigendynamik entwickelt haben, dass er vor lauter Niedertracht ganz knapp an der Grenze zur Lächerlichkeit vorbeischrammt. Ein Film, der für mich wie kein anderer, die billig sleazigen Slasher aus dritter Reihe von vor 35 Jahren ins neue Millenium gewuchtet hat. Wer wissen will, warum Splatter University oder Don't Open Till Christmas damals Leute anwidern konnten, hat hier ein Vergleichswerk; gut waren sie objektiv nämlich alle nicht.

Ich kann die schlechten Wertungen, die er eingefahren hat, nachvollziehen. Ich gebe aber auch offen und ehrlich zu, hier ein guilty pleasure meinerseits vorgestellt zu haben. Murder Set Pieces war einer meiner ersten, harten Horrorfilme, die ich je gesehen habe und zwischen all den Film-Tattoos, die an meinem Körper haften, findet sich, in einem Anflug jugendlichen Leichtsinns,sogar ein Motiv dieses Films. #prägendefilmerfahrung. Wie clever diese Lebensentscheidung war, wird sich zeigen. Aber zu leugnen, von diesem Streifen- auf welche Art und Weise auch immer - beeindruckt worden zu sein, kann ich nicht.

7.5/10

8/10

Murder-Set-Pieces: Review von hudeley (Schnittberichte.com) (2024)
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Author: Arielle Torp

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